Matthias Kirschnereit Klavier |
Matthias Kirschnereit pflegt den schönsten Zugang zur Musik, den man sich denken kann: Er ist dem Empfindungsreichtum, dem Atem und damit überhaupt den menschlichen Zügen der Musik auf der Spur. Und diese Wege geht er dann, nach ausgiebiger Analyse und umfangreichem Repertoirestudium, letztlich doch »rein intuitiv«, wie er sagt. Die FAZ schrieb: »Er ist ein Ausdrucksmusiker par excellence, der mit seinem Klavierspiel die spezifisch deutsche Klavierkunst fortsetzt.« Tatsächlich führt die Reihe seiner Lehrer über Renate Kretschmar-Fischer, Conrad Hansen, Edwin Fischer, Martin Krause direkt zu Franz Liszt. Seine musikalischen Hausgötter finden sich dementsprechend vor allem in der deutschösterreichischen Romantik: Schumann und Mendelssohn Bartholdy, Schubert und Brahms – das ist vor allem neben Mozart, aber auch neben Chopin und Rachmaninow seine Welt. Genau damit hat sich Matthias Kirschnereit in die Belle Etage der Pianistenzunft gespielt. Allein seine inzwischen rund 25 CD-Einspielungen werden in schöner Regelmäßigkeit mit Lob überschüttet. Die Neue Zürcher Zeitung schrieb 2006 anlässlich der Neueinspielung sämtlicher Mozart-Konzerte: »Die Entdeckung des Mozartjahres heißt Matthias Kirschnereit«. Seiner Schumann-Aufnahme »Scenen« attestierte das englische Fachmagazin »Gramophone« »Einfühlungsvermögen und Gedankenreichtum«. Und für die Weltersteinspielung von Mendelssohns 3. Klavierkonzert erhielt er 2009 einen ECHO-Klassik. Trotz des Ruhmes, den Matthias Kirschnereit längst auch international auf seinen umfangreichen Tourneen genießt, sind ihm jegliche Star-Allüren fremd. Schließlich will er seinen Zuhörern einfach nur »etwas von diesen wunderbaren musikalischen Genieleistungen vermitteln.« Das gelingt ihm nicht nur in Solo-Recitals und in Orchesterkonzerten mit etwa den St. Petersburger Philharmonikern, den Bamberger Symphonikern und dem Tonhalle Orchester Zürich. Seit langem ist er auch ein begeisterter Kammermusiker, der in jüngerer Zeit mit Musikern wie dem Violinisten Christian Tetzlaff, der Klarinettistin Sharon Kam, dem Cellisten Adrian Brendel sowie dem Vogler-, dem Minguet- und dem Szymanowski-Quartett musizierte. Dabei ist es angesichts seiner ungewöhnlichen Biographie nicht selbstverständlich, dass Matthias Kirschnereit überhaupt so weit gekommen ist. Erst mit 14 Jahren begann er sein erstes ordentliches Klavierstudium an der Detmolder Musikhochschule. Ein Alter, in dem andere Talente schon ihre ersten Klavierwettbewerbe hinter sich haben. »Ich bin auf den allerletzten Zug für eine Pianistenkarriere aufgesprungen.« Denn Matthias Kirschnereit hatte zuvor fünf Jahre lang in Namibia gelebt – wo an eine ordentliche Klavierausbildung nicht zu denken war. 1971 war er neun Jahre, als er mit seiner Familie nach Afrika zog. Und der Kontrast zu dem Ort, den er verließ – die romantische Laubwaldregion um den Plöner See in SchleswigHolstein – konnte damals nicht größer sein. So schnell der junge Matthias Kirschnereit von der vollkommen anderen Kultur fasziniert war, so wusste er irgendwann, dass er seinen Wunschtraum von einer Pianistenkarriere wohl doch nur in Deutschland realisieren kann. Mit dem Einverständnis seiner Eltern kehrte er 1976 allein zurück und wurde in Detmold Jungstudent bei Renate Kretschmar-Fischer. »Zuerst war ich schockiert, als ich sah und hörte, was meine Alterskollegen bereits alles spielen konnten.« Um das Versäumte nachzuholen und sich nur auf die Musik zu konzentrieren verließ er mit 16 Jahren sogar die Schule. An einen Satz, den ein empörter Studienrat ihm zum Abschied nachrief, kann er sich noch immer allzu gut erinnern: »Solche Leute kennen wir, der wird später Klavierlehrer in Barntrup.« Doch der Lehrer irrte: Matthias Kirschnereit wurde mehrfacher Preisträger bei Wettbewerben wie dem Concours Géza Anda in Zürich. Zu seinen Mentoren zählten Murray Perahia, Claudio Arrau, Bruno Leonardo Gelber und Sandor Végh. Er gibt jährlich etwa 50-60 Konzerte, dazu ist er seit 1997 Professor an der Hochschule für Musik und Theater Rostock. Damit folgt er seinem Ideal, das Erlebte und Erfahrene an kommende Musikergenerationen weiter zu geben. In seiner Freizeit interessiert er sich für Malerei, Fußball und Italienische Küche und lebt heute mit seiner Familie in Hamburg. Portrait von Guido Fischer |