Franz Liszt (1811-1886)
Text von Sibylle Ehrismann – 2. Abo-Konzert Saison 2016/17
Franz Liszt: «Prometheus» Symphonische Dichtung Nr. 5
KÜHNHEIT – LEIDEN –
AUSHARREN – ERLÖSUNG
Prometheus ist in der griechischen
Mythologie der Menschen-
Schöpfer und Lichtbringer. Er erschuf
die Sterblichen aus dem Ton
der Erde, lehrte sie verschiedene
Arbeiten und Athene hauchte ihnen
mit ihrem Atem den Verstand
ein. Nun fehlte ihnen nur noch das
Feuer. Das konnten ihnen nur die
Götter geben. Nachdem Prometheus
Zeus durch eine List verärgert
hatte, weigerte sich dieser
jedoch, den Menschen das Feuer
zuzusprechen. So liess sich Prometheus
eine weitere List einfallen.
Um den Menschen das Feuer
zu bringen, hob er einen langen
Stängel des Riesenfenchels in den
Himmel und entzündete diesen am
vorüberrollenden, funkensprühenden
Sonnenwagen des Helios. Mit
dieser lodernden Fackel eilte er
zur Erde zurück und setzte einen
Holzstoss in Flammen. Die Menschen
hatten ihr Feuer, Zeus jedoch
rächte sich an ihnen, indem
er die Pandora schuf, die mit ihrer
Büchse die Übel über die Menscheit
brachte. Auch an Prome-
theus rächte er sich. Er liess ihn den
Unsterblichen an eine Felswand im
Kaukasus ketten und sandte einen
Adler aus, der jeden Tag von seiner
Leber frass, bis er von Herakles befreit
wurde. Prometheus musste jedoch
fortan einen eisernen Ring mit
einem Felsstück tragen, um Zeus die
Genugtuung zu geben, er sei noch
immer an den Felsen gefesselt.
Schon Beethoven hat Prometheus mit
seiner Ballettmusik «Die Geschöpfe des
Prometheus» op. 43 die Referenz erwiesen.
Aber auch Komponisten nach ihm
haben sich von der mythologischen Figur
des Feuerbringers inspirieren lassen: so
etwa Luigi Nono für sein Hörtheater «Prometeo
», oder der Schweizer Komponist
Rolf Urs Ringger, der 2000 das vielbeachtete
Orchesterstück «Luci di Prometeo»
komponierte.
Das argovia philharmonic spielt nun in
seinem 2. Abo-Konzert die Symphonische
Dichtung «Prometheus» von Franz Liszt.
Mit dem «Lichtbringer»-Thema wurde
Liszt durch Johann Gottfried Herders
Theaterstück «Der entfesselte Prometheus
» vertraut, welches am Hoftheater
Weimar anlässlich der Enthüllung der
Herder-Statue am 24. August 1850
aufgeführt wurde. Dafür hatte Liszt, der
damals Kapellmeister in Weimar war, eine
Ouvertüre und einige Chöre komponiert.
Nur vier Tage nach dieser Herder-Festvorstellung
dirigierte Liszt in Weimar übrigens
die legendäre Uraufführung von Richard
Wagners Oper «Lohengrin».
1855 überarbeitete Liszt seine Prometheus-
Ouvertüre und gestaltete daraus
eine Symphonische Dichtung. Als
Komponist hatte Liszt einen Weg gesucht,
die klassische Symphonie mit ihren vier
Sätzen zu überwinden und den formalen
Ablauf eines Orchesterstücks durch
einen dichterischen Stoff, eine theatralische
Dramaturgie, zu ersetzen. In der
Musik seiner «Prometheus»-Dichtung
wollte Liszt «die Stimmungen aufgehen
lassen, welche die Wesenheit des
Mythos, gleichsam seine Seele bilden:
Kühnheit, Leiden, Ausharren, Erlösung;
kühnes Hinanstreben nach den höchsten
Zielen…».
Düster, dramatisch und bedrohlich ist der
Beginn dieses Werks. Crescendierend
baut sich blitzschnell ein ungewohnter
Quartenakkord auf, wie ihn ein halbes
Jahrhundert später Arnold Schönberg
als Fanal zur Moderne benutzte. Dieser
harmonisch kühne Akkord aus mehreren
reinen Quarten entlädt seine Spannung in
einem rhythmischen Motiv von trotziger
Härte. Abrupte Streicherfiguren, auf- und
niederfahrend, werden von akzentuierten
Bläserakkorden überlagert.
Nach dieser kontrastreichen Einleitung
folgt ein lebhafter, geradezu furioser Teil
– hier lässt Liszts Freund Richard Wagner
grüssen. Das kämpferische Ringen des
Prometheus wird in einer Fuge ausgetragen,
das Fugenthema gliedert sich
in zwei charakteristische Teile: der
Gegensatz von niederschmetterndem
Leid und aufbegehrendem Trotz kommt
schon im Thema zum Ausdruck. Das
trotzbietende Ausharren soll jedoch am
Ende triumphieren, die widerstreitenden
Motive werden mit starkem Sog zum sieghaften
Ende geführt.