Sinfonie Nr. 29 A-Dur KV 201 (186a)

Wolfgang Amadeus Mozart  (1756-1791)


Programmheft für das 3. Abo-Konzert 2020/21

Heiter und neuartig zugleich

Mit der Sinfonie Nr. 29 A-Dur KV 201 erreichte der erst 18-jährige Mozart 1774 in Salzburg bereits einen ersten Höhepunkt in seinem sinfonischen Schaffen. Zusammen mit der ungewohnt düsteren und leidenschaftlichen g-Moll-Sinfonie Nr. 25 KV 183 ist sie die früheste Sinfonie Mozarts, die sich im Konzertrepertoire etabliert hat.


Die Gründe dafür sind ohrenfällig. Zwar wirkt die A-Dur-Sinfonie KV 201 heiter, gelöst und unproblematisch, doch in ihrem formalen Aufbau und ihrer strukturellen Ausarbeitung ist diese Sinfonie der Zeit weit voraus. Hier vereinen sich kammermusikalische Feinheit und impulsive sinfonische Kraft zu einer neuen Vergeistlichung der Sinfonik.


Die grossartige Wirkung dieses Werks beruht nicht zuletzt auf einer Verfeinerung der Instrumentation. Obwohl die Sinfonie mit der schlichtesten, konventionellen Orchesterbesetzung auskommt (Streicher, zwei Oboen, zwei Hörner), gewinnt Mozart diesen Instrumenten eine grosse Spannweite an klanglichen Wirkungen ab. Besonders zauberhaft gelingt das im langsamen Satz Andante, in dem die Bläser bei der Übernahme der Themen von den Streichern auch deren Charakter verwandeln.


Dazu arbeitet Mozart hier mit einer modernen Steigerungstechnik, die der A-Dur-Sinfonie einen schwärmerischen, ja übermütigen Charakter verleiht. Schon bei der Wiederholung des Hauptthemas imitieren die tiefen Streicher das Thema in einem halbtaktigen Abstand, eine polyphone Belebung ohne barocke Strenge. So werden die Einzelstimmen emanzipiert, und die Melodien werden, wie in einem Streichquartett, auf die verschiedenen Stimmen verteilt.


Die formalen Besonderheiten sind nicht weniger interessant. Mozart war im Sommer 1773 in der kaiserlichen Hauptstadt Wien gewesen, wo ihn die grossen Sinfonien Haydns aus der Zeit um 1770 überwältigt haben müssen. Bislang hatte er einen von Italien und Johann Christian Bach beeinflussten sinfonischen Stil gepflegt, nun stellte er radikal auf den Wiener Stil um. Das Menuett mit Trio wurde als vierter Satz eingeführt, die Ecksätze konsequent motivischthematisch gestaltet, Kontrapunkt und «durchbrochene Arbeit» unter den Orchesterstimmen subtil aufgeteilt.


Die A-Dur-Sinfonie KV 201 ist die Krönung dieses neuen wienerischen Mozart-Stils. Nie zuvor hatte er ein Hauptmotiv so in ein kontrapunktisch dicht gewobenes Netz eingebettet wie in diesem Kopfsatz, und erstmals schrieb er einen derart ausführlichen Durchführungsteil, in dem er Moll-Regionen berührt und das Thema nie aus dem Auge verliert. Diese differenzierte motivisch-thematische Arbeit wird später zu einem Markenzeichen Beethovens.

Der wunderbare Gesang der Streicher im langsamen Satz mit seinem rhythmisch-melodischen Pendelschlag wirkt ebenso neu wie die überraschende Idee, am Ende den Bläsern das Thema in einer kleinen «Harmoniemusik» anzuvertrauen. Und mit dem Finalthema, das von einer «Rakete» im Stil der «Mannheimer» geprägt wird, entfaltet der jugendliche Meister eine unbändige Kraft.

Text: Sibylle Ehrismann