Sinfonie Nr. 2 «Pagan»

Granville Bantock  (1868-1946)


Satyrn und Nymphen, sanft und prächtig

Es gab eine Zeit, in der Granville Bantock als «eine der interessantes- ten Figuren in der heutigen Musikwelt», «der grösste britische Choral- komponist seit dem Tudor-Zeitalter» und sogar als ein «Erz-Experimentalist» bezeichnet wurde. Der gebürtige Londoner galt zu Lebzeiten als ein besonders kultivierter und feinfühliger Künstler, der sich oft von altgriechi- schen und aussereuropäischen Themen inspirieren liess. Aus seinem umfangreichen Œuvre sollte man vor allem das gigantische Oratorium «Omar Khayyam» auf Gedichte des mittelalterlichen persischen Dichters hervorheben; ausserdem schrieb Bantock vier Symphonien, zahlreiche andere Orchester-, Chor- und Kammermusikwerke, sowie Bühnen- musik und Lieder.

Die zweite Symphonie, «Pagan» oder zu deutsch die «Heidnische» genannt, wurde im Jahre 1928 beendet, die Uraufführung – unter der Leitung von Sir Adrian Boult, einem wichtigen Lehrer und Mentor Douglas Bostocks – erfolgte aber erst acht Jahre später. Es ist ein üppiger Traum von einer antiken pastoralen Welt, lebendig und bewegt in Töne gesetzt. Der Partitur wurde ein lateinisches Motto vorange- stellt: Et ego in Arcadia vixi (Auch ich habe in Arkadien gelebt), und der Komponist gab bekannt, an folgende Verse aus der Ode No. 19 von Horaz (zweites Buch) gedacht zu haben:

Bacchus, wie er auf fernen Felsen Lieder lehrte, hab ich geschaut – glaubt es, ihr Nachgeborenen –

die Nymphen auch, wie sie sie lernten, und die Ohren der bocksfüssigen Satyrn, wie sie sich spitzten.

Ferner schrieb Bantock über seine Symphonie:

Die Musik könnte als Vision der Vergangenheit beschrieben werden, in welcher der griechische Gott Dionysus (Bacchus) als Spender von Glück und Fülle verehrt wurde, als Liebhaber von Wahrhaftigkeit und Schönheit, als Sieger über die Mächte des Bösen. Die unsterbliche Aphrodite auf reich geschmücktem Thron erscheint einen kurzen Augen- blick lang als Göttin der Liebe, um die Welt an ihre überlegene Macht und herrliche Schönheit zu erinnern.

Die Symphonie wird ohne Unterbrechungen gespielt, und trotzdem lassen sich klare Abschnitte erkennen, welche die formale Struktur des Werkes definieren: nach einer langsamen Einleitung folgen ein ereignisreiches Allegro, ein wildes Scherzo (Tanz der Satyrn), ein Molto lento und ein Allegro-Finale. Es wechseln sich in der ganzen Symphonie zwei Grund- charaktere ab, der eine sanft und sinnlich, der andere prächtig und grandios. Dabei werden beide Charaktere weitgehend durch Varianten einer einzigen Themengruppe dargestellt, in der dem Intervall der reinen Quarte die Hauptrolle zukommt. Obwohl Bantocks Musiksprache im allgemeinen kaum über die Spätromantik des frühen 20. Jahrhunderts hinausgeht, überrascht der Komponist dennoch mit dem dissonant chromatischen Kontrapunkt des wilden Satyrentanzes, dem sogar eine längere Passage für Schlagzeug allein hinzugefügt ist, ein eher ungewöhnliches Vorkommnis selbst in den zwanziger Jahren. Nach einer majestätischen Fanfare folgt die zarte Szene der Nymphen, die im Auftritt der «unsterblichen Aphrodite auf reich geschmücktem Thron» ihren Höhepunkt erreicht. Die Phrase ist ein Zitat aus der Aphrodite-Hymne der Sappho, von Bantock im griechischen Original in die Partitur eingetragen. Das Finale, das die Schönheit Arkadiens bejubelt, endet mit einer Fülle von strahlenden C-Dur-Akkorden, die den «Sieg über die Mächte des Bösen» feiern.

(Text: Peter Laki)