Orgelsonate G-Dur op. 28 orch. von Gordon Jacob

Edward Elgar  (1857-1934)
Gordon Jacob


Text von Peter Laki, geschrieben für das Programmheft des 4. Abo-Konzerts "Discovery UK I In an English Garden", Saison 2018/19.

Elgars «Symphony No. 0»

Die erste Symphonie von Edward Elgar wurde 1908 mit Begeisterungsstürmen als «Englands Erste» begrüsst – das erste Werk aus England, das sich, nach der Meinung der Kritiker, mit den grossen Symphonien anderer Länder messen konnte. Solche Wunder geschehen aber nie von einem Tag auf den anderen: Elgar, der 1899 mit seinen «Enigma-Variationen» international berühmt wurde, hatte symphonisches Denken von Anfang an im Blut. Seine 2. Symphonie erlebte 1911 ihre Uraufführung, eine dritte hinterliess er aufgrund seines Todes unvollständig. Sie wurde jedoch 1997 von Anthony Payne vollendet und uraufgeführt. Als junger Mann vertrat Edward Elgar, der Organistensohn, oft seinen Vater am Spieltisch der St.-George-Kirche in Worcester, der Stadt, wo er sich noch in seinen dreissiger Jahren als Geigenlehrer durchschlug. Für seinen Kollegen Hugh Blair, den Organisten der prachtvollen Kathedrale von Worcester, schrieb Elgar 1895 eine Sonate, die fünfzig Jahre später von Gordon Jacob, Lehrer für Komposition und Orchestrierung am Royal College of Music, orchestriert wurde. Diese orchestrierte Orgelsonate kann quasi als symphonischer Prolog aufgefasst werden – in der Form wie eine Symphonie, orchestral gedacht, aber für Orgel geschrieben. Douglas Bostock hat ihr daher den Titel «Symphony No. 0» gegeben.

Bereits der Anfang der Sonate scheint etwas Symphonisches an sich zu haben. Die ersten Takte sind mit einem orchestralen Frühwerk Elgars verwandt, der Kantate «The Black Knight» («Der schwarze Ritter»). Diesem majestätischen ersten Thema folgt in der Sonate ein lyrisches zweites; die beiden Themen werden später einander angenähert, indem auch das festliche Thema einen milderen Klang annimmt.

Der zweite Satz war als Intermezzo konzipiert, im Sinne von Brahms, der seine letzten Klavierstücke zur gleichen Zeit komponierte. Es handelt sich um eine sanfte Melodie in dreiteiliger Form, wobei sich der Trio-Abschnitt in seinem Tempo und Charakter deutlich vom ersten Teil abhebt.

Darauf folgt ein anderes Stück lyrischer Natur als dritter Satz, ein Andante espressivo, dessen Thema bereits 1887 skizziert wurde. Diesmal liegt der Akzent weniger auf dem Kontrast zwischen den beiden Teilen der Form, als vielmehr auf der Kontinuität und der harmonischen Kombination der Themen.

Im Finale, das in strikter Sonatenform gehalten ist, hören wir ein erstes Thema mit charakteristischen Parallelakkorden, darauffolgend ein zweites, das stilistisch an Elgars später entstandene «Pomp and Circumstance»- Märsche erinnert. Die lyrische Melodie aus dem dritten Satz kehrt als ein kurzer Moment der Entspannung wieder, wonach mit der Durchführung ein Abschnitt mit grösserer Aktivität beginnt. Das Werk endet grandios, mit einer letzten Reprise des ersten Themas, die – ebenfalls wie der Anfang – bereits in der Orgelfassung «symphonisch» anmutete.

Gordon Jacobs Transkription von Elgars Orgelsonate ist meisterhaft, vollkommen im Stile Elgars, und atmet dem Werk neues Leben ein. Es ist wahrlich, als hätte Elgar damit seine symphonische Gesellenprüfung mit summa cum laude abgeschlossen.