Konzertarie «Infelice! Ah ritorna, età dell'oro»

Felix Mendelssohn Bartholdy  (1809-1847)


Programmheft für das 2. Abo-Konzert 2019/20

Dramatische Bravourarie

Der grosse Erfolg seines ersten Klavierkonzertes festigte nicht nur Felix Mendelssohn Bartholdys Ruf als einer der ersten Klaviervirtuosen seiner Zeit, sondern förderte auch sein Ansehen als Komponist. Im November 1832, wenige Monate nach seinem zweiten, äusserst zufriedenstellenden London-Aufenthalt, kontaktierte ihn der Sekretär der Philharmonic Society of London und beauftragte ihn mit der Komposition einer Ouvertüre, einer Sinfonie und eines Vokalwerkes. Bis zum Frühjahr 1833 lieferte Mendelssohn die Ouvertüre in C-Dur (Trompeten-Ouvertüre) und die Sinfonie in A-Dur (Italienische Sinfonie). Die Arbeit am Vokalwerk konnte er jedoch erst zu Beginn des Jahres 1834 aufnehmen. Im Februar schrieb er seinen Eltern: «... ich bin jetzt sehr fleißig und komme wieder in recht gute Schreiblaune...; meine Gesangscene fürs Philharmonic wird in ein Paar Tagen fertig sein.» Die Vollendung der Arie «Infelice!» zog sich allerdings noch bis zum 3. April hin.


Für seine orchesterbegleitete Konzert-Arie fügte Mendelssohn Textzeilen aus verschiedenen Werken des von Mozart so geschätzten Librettisten Pietro Metastasio zusammen: «Die Worte sind der allerschönste Unsinn von Metastasio, Recitativ, Adagio und Allegro aus vier verschiedenen Opern zusammengeholt, aber das soll alles eine solo Geige wieder gut machen, die die Stimme begleitet, und bei der ich auf de Beriot speculire.»

In der dramatischen Bravourarie beklagt die verlassene Geliebte die Untreue ihres Geliebten – ein Thema, das in der italienischen Oper eine lange Tradition hat. Die unbenannte Betrogene eröffnet das Stück mit einem aufgewühlten Rezitativ: «Infelice! Già dal mio sguardo si dileguó!» (Unglücksel’ge! Er ist auf immer mir entfloh’n). Die lieblich klingende Melodie der Solovioline, mit der die eigentliche Arie beginnt, steht symbolisch für das Objekt der enttäuschten Liebe. Nach einer Kadenz wird diese Melodie von der Protagonistin übernommen,
die sich nun in ihren Erinnerungen an die einstigen glücklichen Tage verliert: «Ah, ritorna, età felice» (Kehret wieder, gold'ne Tage). Schliesslich vereinigen sich die beiden Solisten in einem
Duett, wobei sich die Violine zunächst in Umspielungen des Soprans ergeht und der Melodie gegen Ende in Terz- und Sextparallelen folgt. Eine dramatische Wende tritt in dem Moment ein, da die Tagträume zerrinnen, musikalisch erkennbar an der zunehmenden Instabilität der Harmonik und der anschwellenden Lautstärke, gipfelnd in mehreren inständigen Ausrufen der Sopranistin «Ah, ritorna!», doch bleibt ihr Flehen unerhört.


Die Verbindung eines obligaten Soloinstruments mit einer Gesangsstimme war nicht ohne Vorbilder; Mendelssohn kannte zum Beispiel die Konzert-Arien Mozarts, in denen diese Kompositionstechnik Anwendung fand. Doch im Falle von «Infelice!» hatte es mit der Wahl der Solovioline als Begleitung der Sopranistin eine besondere Bewandtnis. Wie aus seinem Brief an die Eltern ersichtlich, schwebte Mendelssohn eine konkrete Besetzung vor. Den Solopart sollte der berühmte belgische Violinvirtuose Charles-Auguste de Bériot übernehmen, der zu dieser Zeit eine Liaison mit der nicht minder berühmten französischen Mezzosopranistin Maria Malibran unterhielt. Mendelssohn bildete also mit der Vertonung von Metastasios Text eine vielschichtige und offenkundige
Liebesbeziehung zwischen zwei Solisten ab, die ihre Parallele im wahren Leben hatte. Allerdings führten Maria Malibran und de Bériot die Arie niemals auf. Bei der Uraufführung in London im Mai 1834 sang Maria Caradori-Allan in Begleitung von J. D.
Loder, dem Konzertmeister der London Philharmonic Society. In derselben Besetzung fand eine zweite Aufführung im April 1836 statt, die – zwei Wochen nach der Hochzeit von Maria Malibran und de Bériot – zugleich die letzte zu Lebzeiten des Komponisten war, denn tragischerweise verstarb Maria Malibran wenige Monate später und Mendelssohn zog daraufhin seine Konzert-Arie zurück.

Text: Cornelia Thierbach