Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 61

Ludwig van Beethoven  (1770-1827)


Text von Iris Karahusić – 2. Abo-Konzert Saison 2015/16
Ludwig van Beethoven: Violinkonzert D-Dur op. 61
PAR CLEMENZA POUR CLEMENT

Knappe sechs Monate brauchte Beethoven, um das Violinkonzert in D-Dur zu vollenden. Es war ein Auftragswerk des Musikdirektors Franz Clement in Wien. Bei der Uraufführung am 23. Dezember 1806 spielte ebendieser Clement vor dem Wiener Publikum. Beethoven erlaubte sich eine handschriftliche Bemerkung auf das Notenblatt seines Freundes: par Clemenza pour Clement. Obwohl der Geigenvirtuose laut den zeitgenössischen Berichten atemberaubend spielte und a prima vista improvisierte, verstaubte das einzige vollendete Violinkonzert Beethovens für fast 40 Jahre in der Künstlerschublade. Erst mit der Darbietung des 12-jährigen Joseph Joachims erlangte Beethovens Werk unter der Leitung von Felix Mendelssohn Bartholdy die Aufnahme in den internationalen Kanon der Musikwelt.
Beethovens versierter Umgang mit einem konzertanten Violinstil war lange vor diesem Werk bekannt. Bereits 1790 versuchte er sich an einem Violinkonzert in C-Dur, das als Torso aber fragmentarisch blieb. Beeindruckend und beliebt sind die zwei Romanzen für Violine und Orchester in F-Dur und G-Dur, deren Einfluss im Violinkonzert besonders in der Formgestaltung des langsamen Satzes wahrnehmbar wird. Anspruchsvoll und virtuos sind Beethovens Violinpassagen und fordern vom Solisten allerhöchstes Können. 
Das Violinkonzert ist in drei Sätze gegliedert. Der Kopfsatz erstreckt sich mit seinen 535 Takten über fast 25 Minuten und präsentiert damit eine Monumentalität (in seiner Ausdehnung, seiner grossformalen Anlage und seinem dynamischen Ambitus), die den Rahmen des traditionellen Ritornellkonzerts sprengt. Der zweite Satz hingegen, schlicht und denkbar knapp formuliert, gleicht den Sonaten der mittleren Schaffensperiode Beethovens. Das Finale, überschrieben mit Rondo: Allegro, legt statt die uns bekannten «grobschlächtigen» Finalsätze Beethovens eine fast mendelssohn’sche Leichtigkeit, ja wenn nicht Eleganz an den Tag.
Eine fast fünf Minuten dauernde Wartezeit beschert die ausgedehnte Tuttiexposition zu Beginn des ersten Satzes dem Solisten. Der Zuhörer wird mit einem «Pochmotiv» der Pauken begrüsst, gefolgt von fünf verschiedenen, themenfähigen Gedanken im Orchester. Dass man sich hier in der Konzeption des Werkes noch nicht zurechtfindet, ist nicht ausgeschlossen. Denn erst mit der kadenzartigen Eröffnung der Solovioline auf der Dominante erlebt der Zuhörer eine Ordnung der musikalischen Gedanken und weiss sich bald in einer im Grunde genommenen monothematischen Sonatenrondoform zurechtzufinden. Diese imposante Eröffnung der Violine gewährt dem Solisten einen ebenso lyrischen wie dramatischen Auftritt, den er in der Kadenz, am Ende des Kopfsatzes, wieder aufnehmen wird. 
Die schlichte Wahl der Nebentonart G-Dur im zweiten Satz wird gleich zu Beginn nach Fis-Dur gerückt. Ein ähnliches Vorgehen verwendete Beethoven im 1. Satz beim Übergang zur Durchführung. Auch das Einbetten des «Pochmotivs» am Ende des Finales erinnert an den Kopfsatz. Derlei satzübergreifende Verbindungen schaffen in einem Werk inneren Zusammenhalt, den zu erlangen nicht immer einfach ist.
Während der Fertigstellung des Violinkonzerts 1806 war Beethoven 36 Jahre alt. Im gleichen Jahr vollendete der deutschstämmige Komponist drei Streichquartette, die sogenannte «Appassionata», die 4. Symphonie und im Wesentlichen das vierte Klavierkonzert Die hier einsetzenden, durch seine wachsende Hörschwäche hervorgerufenen Beschwerden machten Ludwig van Beethoven immer mehr zu schaffen.