Konzert für Violine und Orchester g-Moll op. 67

Mieczysław Weinberg  (1919-1996)


Programmheft für das 2. Abo-Konzert 2020/21

Programmheft für das 4. Abo-Konzert 2021/22

Kraftvoll und lyrisch klagend

Man hört Mieczysław Weinbergs Musik an, dass sie in enger Nachbarschaft zu Dmitri Schostakowitschs Werk entstand. Die beiden Komponisten waren eng befreundet, Schostakowitsch hatte Weinberg nach Moskau geholt und gefördert, überzeugt von seinem aussergewöhnlichen Talent. Der Jude Weinberg war nach dem Einmarsch der Deutschen in Polen aus Warschau nach Osten geflohen, zuerst nach Minsk, dann weiter nach Taschkent — seine Familie fiel jedoch dem NS-Regime zum Opfer.

In der Sowjetunion konnte Weinberg zwar eine freie Musikerkarriere aufbauen, er blieb aber ein Fremder: In der Sowjetunion war er der Pole, in Polen der Russe, und für die sowjetischen Komponisten war er schlicht zu «jüdisch». Auch die kommunistische Kulturpolitik baute ihn nicht zum internationalen Aushängeschild auf. Weinberg war ja Pole und blieb isoliert, weshalb seine Musik auch nicht derart stark «zensiert» wurde wie etwa die von Schostakowitsch.

Weinberg war ein überaus produktiver und kreativer Komponist ohne Festanstellung. Er schrieb für alle Genres und Stile: vom Kunstlied über die Sonate, Streichquartette, grosse Chorwerke, Konzerte, Sinfonien und Opern, er verdiente seinen Lebensunterhalt aber auch mit Zirkusmusik und Musik für Zeichentrickfilme. Das Violinkonzert entstand 1959 für den Geiger Leonid Kogan, dem es auch gewidmet ist. Es steht exemplarisch für Weinbergs ausdrucksstarken, modern tonalen Stil. Schostakowitsch bezeichnete es als «fabelhaftes Werk, und ich wähle meine Worte mit Bedacht».

Schon formal fällt dieses Violinkonzet durch die vier — und nicht wie sonst üblich drei — Sätze auf, was es in die Nähe einer Sinfonie rückt. Auch in der Besetzung fordert Weinberg ungewöhnlicherweise neben zwei Harfen eine Celesta und ein reichhaltiges Schlagwerk mit Xylophon, dazu bei den Holzbläsern auch die tiefen Register des Kontrafagotts und der Bassklarinette. Die damit verbundenen «schwebend zarten» und «bedrohlich brummenden» Klangfarben setzt Weinberg dosiert und vielsagend ein.

So beginnt etwa der 1. Satz «Allegro molto» mit einer leichtfüssig vorwärtstreibenden Achtelbewegung der Streicher. Der Solopart hebt sich markant ab, er stimmt ein herb beschwingtes Thema an und entfaltet virtuose Doppelgriffe. Dennoch reagieren Solist und Orchester in enger Verflechtung aufeinander. Harmonisch reizvoll verfremdete Zurücknahmen ins Pianissimo wechseln mit heftigem Draufgängertum, bei dem der Solist auch mal knarzend/kratzend spielen soll.

Da wirkt es wie eine kleine Offenbarung, wenn plötzlich zarte Celestaklänge durchschimmern, solche unerwarteten Stimmungswechsel durchziehen das ganze Konzert. Der rhythmische Drive und die eindringlich balladenhaften Melodien dieser Musik gehen unter die Haut, und für den Solisten gibt es keine Atempause. Er wird durchwegs virtuos gefordert: von der rhythmisch akzentuierten Verve, der gelenkigen Springbogentechnik und den flehenden Stossgebeten in der höchsten Lage. Einfach unerhört, welche Zuversicht Weinberg im nachdenklich melancholischen «Adagio» zu vermitteln vermag.

Text: Sibylle Ehrismann