Ludwig van Beethoven (1770-1827)
Text von Anna Spiess - 5. Abo-Konzert 2016/17
Beethovens Ouvertüre zum Ballett «Die Geschöpfe des Prometheus» op. 43
REFERENZWERK ODER POLITISCHE BOTSCHAFT?
Das Ballett «Die Geschöpfe des Prometheus» op. 43 erfreute sich beim Wiener Publikum so grosser Beliebtheit, dass es nach der Uraufführung am 28. März 1801 über 20 weitere Male gespielt wurde. Die grosse Resonanz auf das Ballett erstaunt nicht, da Kirchen- und Bühnenmusik aufgrund der Handlung, die sich im Text, Gesang und/oder Tanz manifestiert, besonders für Laien zugänglich war. Der reinen Instrumentalmusik hingegen stand das Publikum aufgrund des grösseren Abstraktionsgrades zwar respektvoll, aber distanziert gegenüber. Beethoven versuchte sich vielleicht gerade deshalb mit seinem Werk zu Salvatore Viganòs Ballett «Die Geschöpfe des Prometheus» in einem publikumswirksamen und prestigeträchtigen Genre in Wien zu etablieren, denn seine bisher komponierte Symphonie Nr. 1 war ein vergleichsweise kleiner Publikumsmagnet.
Doch weshalb beschäftigten sich Beethoven und Viganò ausgerechnet mit dem Prometheus-Mythos? Im Gegensatz zu anderen Adaptionen aus der Antike hatte sich das Prometheus-Sujet im Musiktheater kaum etabliert und auch ein Anlass für den Auftrag zur Komposition ist nicht bekannt. Dennoch – das Prometheus-Thema war im ausgehenden 18. Jahrhundert hochaktuell. Prometheus wurde als Lichtbringer und Menschheitsbeglücker zum Idol der Aufklärung und des Idealismus stilisiert und personifizierte sich überdies in Napoleon.
Eine politisch motivierte Eloge lässt sich im Prometheus-Ballett jedoch aufgrund fehlender Quellen nicht eindeutig belegen. Zwar kannten Beethoven und Viganò ein Napoleon gewidmetes Prometheus-Gedicht von Vincenzo Monti und auch Goethes Deutung müsste ihnen bekannt gewesen sein. Dennoch bezogen sich die Autoren weder auf zeitgenössische Auslegungen, noch auf die Prometheus-Überlieferung von Aischylos, sondern entwarfen ein eigenes Prometheus-Bild: der Titan als Künstler und Erzieher, nicht als Revolutionär.
Somit kann dieses Werk wie auch die zwischen 1802 und 1803 entstandene dritte Symphonie im Kontext der revolutionären Ereignisse in Frankreich gesehen werden. Zwar wurde Napoleon auch in Wien idealisiert und als Held und Befreier von feudaler Willkür betrachtet, doch aufgrund der kriegerischen Verwicklungen zwischen Österreich und dem napoleonischen Frankreich konnte sich kaum jemand offen zu Napoleon bekennen.
Gerade Beethoven spiegelt diese Ambivalenz der österreichischen Bildungsschicht, da er einerseits auf die finanzielle Unterstützung des Adels angewiesen war, andererseits jedoch das Idealbild Napoleons als mythischen Menschheitserzieher hochhielt. In seinem Prometheus-Werk kommt diese Bewunderung in den Anklängen an die offizielle Hymne des französischen Konsulats («Veillons au salut de l’empire») zum Ausdruck. Musikalisch lässt sich zudem eine Verwandtschaft zu Beethovens Symphonie Nr. 3 («Eroica») ausmachen, denn in beiden werden durch die Verwendung eines Themas aus den Contretänzen für Orchester WoO 14 (Nr. 7) verbunden. Doch ungeachtet möglicher Spekulationen auf politische Verweise kann das Werk ganz pragmatisch als mögliches Referenzwerk gesehen werden, denn wie aus mehreren Quellen zu entnehmen ist, spielte Beethoven im Jahr 1804 mit dem Gedanken, in das (das Ballett liebende) Paris Napoleons überzusiedeln.
Die Handlung des Balletts kann aufgrund der mangelnden Überlieferung eines Textbuchs nicht mehr vollständig wiedergegeben, sondern lediglich unter Zuhilfenahme anderer Quellen wie dem Programzettel rekonstruiert werden. Kurz gefasst verwandelt Prometheus zwei Statuen mithilfe des zuvor geraubten himmlischen Feuers in Menschenkinder. Da diese sich nicht wie vernünftige Menschen verhalten, will Prometheus sie im Parnass, einem mythischen Ort, durch Musen, Grazien und Gottheiten erziehen lassen. Dies gelingt schlussendlich aufgrund der Begegnung mit dem Tanz, der Musik, dem Theater und dem (möglichen) Tod.
Die fehlenden Quellen sind vermutlich dafür mitverantwortlich, dass das Ballett im 19. und 20. Jahrhundert kaum mehr aufgeführt wurde und sich lediglich die Ouvertüre durchzusetzen vermochte.