Johannes Brahms (1833-1897)
Text von Iris Karahusić - 3. Abokonzert Saison 2016/17
Brahms' Doppelkonzert für Violine und Violoncello a-Moll op. 102
THUNERSEE UND ALPENBLICK
Johannes Brahms bekannte sich zu den
Verfechtern der sogenannten «absoluten
Musik» und wollte die überlieferten
Grundformen, vor allem die der
Symphonik und der Kammermusik,
weiter pflegen und neu erfüllen. So
erstaunt es nicht, dass er als «legitimer
Nachfolger Beethovens», aber
auch als konservativ betrachtet wurde.
Zur gleichen Zeit stellten die «Neudeutschen»,
zu denen u.a. Franz Liszt und
Richard Wagner gezählt werden, diesen
überlieferten Formen die symphonische
Dichtung und das Musiktheater
entgegen. Jene im 19. Jahrhundert
entfachte Debatte, die aus der Schwierigkeit,
Beethovens Vermächtnis und
Erbe zu rezipieren, entstanden war, ging
als Musikstreit in die Geschichtsbücher
ein.
Das Doppelkonzert, ein Werk, das in
seiner einheitlichen Struktur und einzigartigen
Besetzung Einblick in einen
genialen Moment des Schaffens des
Komponisten gibt, gehört zu Brahms'
Spätwerk und wurde in Thun komponiert.
Die Bergwelt um den Thunersee bot dem
Komponisten viel Raum zur Entwicklung
seiner kreativen Gedanken. Es ist sein
viertes Instrumentalkonzert und sein
letztes grosses Orchesterwerk vor
seinem Tod im Jahre 1897. Dass er sich
für ein Doppelkonzert entschieden hat,
wird im Rahmen seiner Beschäftigung
mit Kammermusik – denn zu dieser
Zeit entstanden auch die Cellosonate
op. 99, die Violinsonate op. 100 und das
Klaviertrio op. 101 – verständlich. Solokonzerte
sind in der Musikliteratur üblich
und häufig. Selten hingegen die an die
Tradition der barocken «Sinfonia Concertante»
knüpfenden Konzerte für zwei
oder mehr Solisten. Die schon in der
Einleitung erwähnte Problematik, zwei
Soloinstrumente, noch dazu so unterschiedliche,
wie die wendige und brillante
Violine und das warme, volle Violoncello
miteinander ins Gespräch zu bringen,
zudem den Orchesterklang vermittelnd
einzusetzen, ist eine Herausforderung
ohnegleichen. Dieser hat sich Brahms'
mutig gestellt.
Am 18. Oktober 1887 fand unter seiner
Leitung die Erstaufführung im Kölner
Gürzenich statt. Zur Vorprobe waren
mehrere Freunde des Komponisten
geladen, darunter auch Clara Schumann.
Hier zeichneten sich die ersten Reaktionen auf das Werk ab. Sie waren ganz
unterschiedlich. Hans von Bülow nannte
es eine «famose Komposition», Clara
Schumann hingegen attestierte den
mangelnden «warmen, frischen Zug»,
den sie sonst von Brahms' Kompositionen
kannte. Auch beim Publikum löste
die Aufführung mit dem Geiger Joseph
Joachim – mit dem sich der Komponist
vorher privat zerstritten hatte und ihn
doch noch überzeugen konnte, als
erster Solist das Werk der Öffentlichkeit
zu präsentieren – und dem Cellisten
Robert Hausmann im Oktober gemischte
Gefühle aus. Erst im Verlaufe der Zeit
gewann das Doppelkonzert die Anerkennung,
die es heute geniesst. Zahlreiche
Einspielungen der berühmtesten
Musiker des 20. Jahrhunderts bestätigen
dies.
Das Konzert hat drei Sätze. Im einleitenden
Allegro erfährt das thematische
Material eine faszinierende Entwicklung
im Geben und Nehmen von Solisten und
Orchester. Die ersten vier Takte gehören
dem Orchester, das einen deklamatorischen
Einstieg macht. Das Cello nimmt
die letzten drei Noten auf und legt ein
Recitativo vor, das in der Partitur die
Anmerkung ma sempre in tempo trägt
und ein erstes Thema entwirft. Danach
künden Klarinette und Oboe das zweite
Thema an. In Takt 30 steigt die Violine
ein. Es folgt ein freudvoller, unbegleiteter
Dialog der beiden Solisten, unter denen
ein «Austausch von Ideen» stattfindet.
Hier greift das Orchester ein und übernimmt
die Exposition der beiden vorgestellten
Themen. Darauf übernehmen
die Solisten wieder die Themen, entwickeln
sie weiter und machen deutlich,
wie unterschiedlich die Charaktere der
beiden Instrumente sind. Der zweite Satz
ist ein Andante, in dem sich balladenartig
lyrisch eine ruhige melodische Idee
in D-Dur und ein «friedlicher Gesang»
in F-Dur abwechseln. Im Finale, einem
Vivace non troppo, dominiert ein gutgelaunter
Ton. Dieses scherzoartige RondoFinale
weist brillante Virtuosität auf, ohne
allerdings die für Brahms typische Nachdenklichkeit
zu verlassen.