«The Lark Ascending» Romanze für Violine und kleines Orchester

Ralph Vaughan Williams  (1872-1958)


(Text: Chantal Gardelli, geschrieben für das Programmheft des Symphoniekonzerts In an English Garden, Saison 2018/19)

«Not simply a piece to relax to»

Dass sich die britischen Musik im 20. Jahrhundert wieder neuer Beliebtheit erfreuen konnte, ist vor allem Ralph Vaughan Williams zu verdanken. Dabei war ihm ein Individualstil in der Musik wichtiger als ein «nationalistischer» oder «internationalistischer» Ansatz. So formulierte er: «We cannot, if we wished, create a ‹national› style artificially. To write rhapsodies on national themes is a delightful exercise for the composer, and may show up the folk-song to the hearer in a new and pleasing light, but merely to take a handful of English folk-songs and dilute them to taste with some patent Strauss mixture or a little Brahms-and- water will not make a national style. Ultimately it is a personal, and not a national style that is to be desired. Smith and Brown have got to write Smithian and Brownian music, just as Beethoven and Schubert wrote Beet- hovenian and Schubertian music».

Neben seinen programmatischen Schriften war auch sein musikalisches Schaffen massgeblich an der Entwicklung der britischen Musik beteiligt. Sein musikalisches Repertoire richtete sich weniger an die intellektuelle Bevölkerungsschicht, sondern an den Durchschnittsmenschen. So war Vaughan Williams gegen die Verwendung von Dodekaphonie oder Dissonanzen, die dem menschlichen Gehör missfallen könnten. Beeinflusst wurde er diesbezüglich vor allem durch seinen Lehrer Charles Villiers Standford, der seinen Schüler verboten hatte, solch «hässliche» Musik zu schreiben.
Der heutige Bekanntheitsgrad Vaughan Williams' lässt sich insbesondere auf seine neun Symphonien zurückführen. Die Aufnahme von Volksliedgut, die selbstbewusste Verwendung eines unverwechselbaren, zugleich nationalen und persönlichen Bildmaterials
und die Verwirklichung eines einheitlichen Stils sind Merkmale seiner Werke.

«The Lark Ascending» gehört zu Vaughan Williams frühen konzertanten Kompositionen und stellt so etwas wie «Englands heimliche Nationalhymne» dar. 1914 geschrieben, wurde die Fertigstellung durch den Ausbruch des 1. Weltkriegs unterbrochen, sodass das Werk erst nach einer Überarbeitung Vaughan Williams 1920 uraufgeführt werden konnte. Inspiriert wurde «The Lark Ascending» von Georg Merediths 122-zeiligen gleichnamigen Gedicht, das den Aufstieg einer Lerche in den Himmel umschreibt. Beginnend mit den dunkelsten, reichhaltigsten Klängen, die eine Violine spielen kann, dann zu einer leichtfüssigen Helligkeit aufsteigend, gilt «The Lark Ascending» bis heute als «akrobatisches Meisterwerk» und ist ein beliebtes Stück für Violinvirtuosen. Mit pfeilgeschwinden 64-tel Noten beschreibt Vaughan Williams die Bewegungen und den schönen Singsang der Vögel. Die unzähligen hörbaren Triller innerhalb der Komposition verstärken diesen Effekt. Im Gegensatz zur Solovioline ist vielerorts ein fast schon geruhsames Orchester hörbar. Es ist, als ob Vaughan Williams versucht hätte, die Erde aus Sicht eines Vogels zu versinnbildlichen.

Obwohl sich die idyllische Romanze stimmungsmässig von sonstigen pastoralen Werken der Nachkriegszeit unterscheidet, ist laut Roger Wright, ehemaliger Leiter der BBC Proms, folgendes wichtig: «It's important that the piece doesn't just become a pastoral wallpaper, a pretty reflection on a rural scene (...) There is loss there too and the sense of a difficult time in a country's history. It should not simply be a piece to relax to.»

Vaughan Williams Musik gilt aufgrund seines engen Traditionsbezuges als typisch britisch. Der ihm ganz eigene Stil, die vergleichsweise leicht einzustudierenden Werke, sowie seine humanistisch-liberale Einstellung brachten ihm bis heute die Anerkennung des britischen Volkes ein.