Sinfonie Nr. 3 a-Moll op. 56 «Schottische»

Felix Mendelssohn Bartholdy  (1809-1847)


Der Reiz der schottischen Landschaft und der Schauermorde

In keinem anderen Land ausserhalb Deutschlands wurde Felix Mendels- sohn Bartholdy und seine Musik so geschätzt wie in England. Regelmässig reiste er nach London, um dort seine Werke zu dirigieren. Sein erster Besuch erfolgte 1829 als 20-Jähriger im Zuge einer mehrmonatigen Bildungsreise nach England und Schottland. Diese inspirierte den jungen Mendelssohn zur «Hebriden-Ouvertüre» und zu seiner 3. Symphonie, die den Beinamen «Schottische» trägt.

Mendelssohn schätzte London zwar, doch seine erste Beurteilung von 1829 war ambivalent: «Sie ist das grossartigste und komplizierteste Monster auf dieser Welt.» Später meinte er aber: «Keine Frage, dass dieses rauchige Nest meine liebste Stadt ist und bleiben wird. Ich werde sehr emotional, wenn ich an sie denke.» Umgekehrt verehrten die Londoner Mendelssohn sehr. So sehr, dass er zum Ehrenmitglied der Philharmonic Society London ernannt wurde. 1842 hatte er dieses Orchester vom Klavier aus dirigiert und dazu einen weissen Dirigentenstab – damals eine noch aussergewöhnliche Erscheinung – benutzt.

Bildungsreisen waren im 19. Jahrhundert für die Söhne adliger und grossbürgerlicher Häuser üblich. Eigentlich wollte Vater Mendelssohn seinen Sohn zuerst nach Paris schicken, doch diesen zog es nach England und Schottland, auf den Spuren Shakespeares und der grauenvollen Morde rund um Maria Stuart.

Die Reise ins schottische Hochland von 1829 inspirierte den jungen Musiker, der auch malerisch sehr begabt war. Er besuchte die zerfallene Kapelle des Edinburgher Stuartpalasts: «Es ist da alles zerbrochen, morsch, und der heitere Himmel scheint hinein», schrieb er den Eltern. «Ich glaube, ich habe heut da den Anfang meiner Schottischen Sinfonie gefunden.»

Besonders der Besuch der Hebriden-Insel Staffa und der Fingalshöhle beeindruckten Mendelssohn zutiefst. Seiner Schwester Fanny, die zu Hause bleiben musste, streute er stets auch seine musikalischen Ein- fälle in die Briefe ein. Diesen Reise- Eindrücken haben wir die ersten Skizzen zur «schottischen» Symphonie zu verdanken. Es sollte jedoch noch zwölf Jahre dauern, bis Mendelssohn das Werk in Leipzig und Berlin vollendete.

Ein besonderes Merkmal der 3. Symphonie ist ihre zyklische Form. Die vier Sätze werden ohne Unterbruch, also attacca, gespielt. Mendelssohn verstand die vier Sätze als Teile einer grossen Einheit und wollte nach seinen eigenen Worten «mit den stimmungsmordenden Pausen zwi- schen den Sätzen aufräumen».

Bereits der 1. Satz ist ein konsequent durchgeformtes Stimmungsbild: die Einleitung ist elegisch, den weich abgerundeten, kantablen Klang erzielt Mendelssohn, indem er zu Beginn auf Geigen und Celli verzichtet und das Thema von Oboen, Klarinetten, Hörnern und Bratschen vortragen lässt. Ein instrumentatorischer Kunstgriff, den Brahms später mehrfach aufnahm. Die verhangene Grundstimmung bleibt auch im balladesken Allegro un poco agitato mit seinen nebelgrauen Orgelpunkten erhalten.

Das durchsichtig instrumentierte F-Dur-Scherzo ist von schottischer Folklore beeinflusst. Das Hauptthema ist pentatonisch (fünftönig), und das burschikose Klarinetten-Thema ist unverkennbar dem Dudelsack abgelauscht. Auf das hymnisch aussin- gende A-Dur-Adagio folgt attacca der Schlusssatz, dessen formale Besonderheiten vielleicht in einem verborgenen Programm begründet sind. Der Hauptteil in a-Moll war ursprünglich mit Allegro guerriero überschrieben, dem Mendelssohn noch einen A-Dur- Teil folgen liess. Das Thema soll laut Mendelssohn «wie ein Männerchor» klingen.

Die Uraufführung der 3. Symphonie fand am 3. März 1842 im Rahmen des 19. Abonnementskonzerts des Gewandhauses in Leipzig statt. Diri- giert wurde sie von Mendelssohn persönlich, der nun längst der be- rühmte Kapellmeister am Leipziger Gewandhaus war. Das Werk stiess sogleich auf grosse Resonanz. Nur wenige Monate später dirigierte Mendelssohn auch die begeistert gefei- erte Erstaufführung des Werkes in London durch die Philharmonic Society. London war für Mendelssohn zur zweiten Heimat geworden.

(Text: Sibylle Ehrismann)