Ouvertüre aus der Schauspielmusik zu Goethes Trauerspiel «Egmont» op. 84

Ludwig van Beethoven  (1770-1827)


Programmheft für das 2. Abo-Konzert 2021/22

Fast schon Programmmusik

Das Motto des 2. Abo-Konzerts «Befreite Seele» passt gut zu Beethovens «Egmont»-Ouvertüre. In Johann Wolfgang von Goethes 1788 veröffentlichtem Drama bleibt der flämische Graf Egmont unbeugsam gegenüber der spanischen Besatzungsmacht, welche seine Heimat unterjochte. Der gefeierte Patriotismus bis in den Tod und der Ruf nach Freiheit trafen den Nerv der Zeit, hatte doch Napoleons Armee grosse Teile Europas erobert.


Deshalb zögerte Beethoven nicht lange, als ihn der Direktor des Burgtheaters Wien anfragte, für eine Aufführung von Goethes «Egmont» 1809 eine Schauspielmusik zu schreiben. Kam dazu, dass der Komponist Goethe sehr verehrte. Zum Zeitpunkt dieser Anfrage sass Beethoven übrigens gerade in Wien fest, denn die Franzosen hielten die Stadt besetzt, eine Ausreise war nicht möglich.


Das Besondere an diesem Auftrag war, dass Goethe selbst für sein Stück  nicht nur eine Ouvertüre und zwei Zwischenaktmusiken vorgeschrieben hatte, sondern auch zwei Lieder für Klärchen, eine Musik, die im 5. Akt den Selbstmord der weiblichen Hauptfigur durch Gift schildern soll, und eine für den Traum, in
dem Klärchen Egmont erscheint. Und zum Abschluss seines Theaterstücks forderte Goethe sogar eine Siegessinfonie.


Eine derart prominente Beteiligung der Musik an einem Trauerspiel hatte bisher noch kein Dichter gefordert. Umso interessanter war es für Beethoven, Goethes Drama auch musikalisch nachzuzeichnen, es entstand eine Art Sinfonische Dichtung, wie sie später vor allem Franz Liszt propagierte. Und die Ouvertüre dazu bot Beethoven die Gelegenheit, das Drama in kompakter Form und mit sinfonischer Kraft vorwegzunehmen.


Die Ouvertüre beginnt denn auch mit gewaltigen Akkorden, den Kontrast dazu bilden lyrische Motive der Holzbläser und Streicher. Verschiedene Freiheitsmotive, einmal melancholisch, dann wieder hinreissend, durchziehen das Stück und versinnbildlichen Egmonts schicksalshaften Freiheitskampf gegen die Spanier. Im Finale dann Gefangennahme, Folter und Tod des Grafen, gefolgt von einer Coda mit stürmisch-jubelndem Siegesmotiv.

Text: Sibylle Ehrismann

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Programmheft für das 3. Abo-Konzert 2019/20

Musik fürs Theater

Beethovens Musik zu Goethes Trauerspiel «Egmont» ist musikhistorisch von besonderer Bedeutung. Sie weckte beispielsweise auch das Interesse von Franz Liszt, der darin seine eigenen musikästhetischen Ansichten wiederfand. Sie kann somit als Vorläufer seiner symphonischen Dichtung gesehen werden: «Wenn Zeiten im Anzuge sind, in welchen die Kunst eine durchgreifende Umwandlung erfahren, einen grossen Fortschritt machen, sich mit bisher ungeahnter Macht und Gewalt in neuen Gleisen bewegen soll, so wird ein solcher grosser Moment meist durch vorbedeutende Zeichen kundgegeben.» Liszts Ansicht nach ist die «Egmont»-Musik eines der ersten Beispiele dafür, dass ein Komponist seine Inspiration aus einem dichterischen Werk zieht: «Ein vollfluthender magnetischer Strom verbindet die beiden Formen menschlichen Denkens und Fühlens: Poesie und Musik.»


Als Beethoven 1809 vom kaiserlichköniglichen Hofburgtheaterdirektor Joseph Hartl dazu beauftragt wurde, eine Theater-Musik zu Goethes Drama «Egmont» zu komponieren, stellte dies für den namhaften Komponisten einen ungewohnter Auftrag dar. Er sagte dennoch zu, denn Graf Egmonts tragische Geschichte über Freiheit und nationale Befreiung sowie über einen Helden, der für seine Sache stirbt, inspirierte Beethoven. Goethe hatte seiner «Egmont»-Dichtung ein musikdramaturgisches Konzept beigefügt. Darin sind nicht nur szenische Lieder enthalten, sondern es bestehen auch explizite Anweisungen für Hintergrundmusiken. So war beispielsweise die Sieges-Symphonie am Schluss des Dramas ein Wunsch Goethes. Als dieser aber 1788 das Drama beendete, lag zwar ein Werk mit vielen Anweisungen zu einer entsprechenden Schauspielmusik vor, die Musik aber existierte noch nicht. Mit Beethovens Theatermusik, die am 15. Juni 1810 in Wien ihre Uraufführung erlebte, wurde diese Problematik, die Theaterintendanten und Regisseure schon seit der Fertigstellung des Dramas beschäftigte, gelöst.


Die bis heute sehr beliebte «Egmont»-Ouvertüre, die meist losgelöst von den anderen Nummern ohne szenische Darbietung im Konzertsaal dargeboten wird, ist ein kompaktes Tongedicht und zeigt nicht nur die zentralen Konflikte des Dramas, sondern auch deren Lösung. Das in f-moll komponierte Stück widerspiegelt mit der Trauertonart par exellence die dramatische Geschichte des Grafen Egmont. Sie beginnt mit dem Trauermarsch der Unterdrückten. Leidenschaftlich und unruhig treibt das Allegro-Hauptthema voran. Die punktierten Streicherrhythmen im Zusammenspiel mit den hohen Holzbläsern lassen die heroisch verklärte Liebe Egmonts zu Klärchen hörbar werden. Diese Liebe wird in der Reprise wiederum zerbrochen. Am Ende der Ouvertüre wird mit der Vorwegnahme der Sieges-Symphonie schon hier der Gang Egmonts zum Schafott am Schluss der Tragödie thematisiert.

Text: Chantal Gardelli