Sinfonie Nr. 4 A-Dur op. 90 «Italienische»

Felix Mendelssohn Bartholdy  (1809-1847)


Programmheft für das 2. Abo-Konzert 2020/21

Programmheft für das 4. Abo-Konzert 2021/22

Zwischen den Religionen

Wie Weinberg bekam auch Felix Mendelssohn-Bartholdy seine jüdische Abstammung immer wieder zu spüren. Zwar liess Vater Mendelssohn vorausschauend seine Kinder lutherisch-evangelisch taufen, doch jüdisch sein ist nicht nur ein Glaube, man ist es von Geburt.


Schon Felix Mendelssohn-Bartholdys Lehrer Friedrich Zelter, der die geniale Begabung des Jungen förderte, meinte 1821 gegenüber Goethe: «Mein bester Schüler ist ein Judensohn, aber kein Jude ... es wäre wirklich einmal eppes Rores, wenn aus einem Judensohne ein Künstler würde.» Doch als es dann um die Wahl eines Nachfolgers für Zelter an der Berliner Singakademie ging — Mendelssohn war mittlerweile ein angesehener Künstler geworden —, wurde er einfach übergangen.


Später haben die Nationalsozalisten Mendelssohns Musik als «entartet» gebrandmarkt und verboten. Nach dem Krieg tauchte sie deshalb nur zögerlich wieder im Konzertsaal auf. Lange hielt sich auch das von Richard Wagner verbreitete Urteil, Mendelssohn-Bartholdys Musik sei zu heiter und naiv und gehe nicht in die Tiefe. Gerade anhand seiner 4. Sinfonie, auch «Italienische» genannt, lässt sich aber erkennen, wie lange und intensiv Mendelssohn an seinen Werken arbeitete.

 

Obwohl die Uraufführung der «Italienischen» 1833 in London unter Mendelssohns Leitung ein grosser Erfolg war, dirigierte er sie danach nicht mehr und überarbeitete sie mehrmals. Erst zwei Jahre nach Mendelssohns Tod erfolgte 1849 in Leipzig die deutsche Erstaufführung. Doch die überarbeitete Endfassung der «Italienischen» entdeckte man erst 1992 im Mendelssohn-Nachlass in der Preussischen Staatsbibliothek Berlin. Sie hatte dort unbeachtet geschlummert, bis sie Gerd Albrecht 1992 in Hamburg der Öffentlichkeit präsentierte.


Konzipiert hat Mendelssohn-Bartholdy seine 4. Sinfonie auf einer Italienreise in Rom, von wo er 1831 schrieb: «Der Frühling ist in seiner Blüte; ein warmer blauer Himmel draussen, und die Reise nach Neapel in allen Gedanken ... Wer kann es mir da verdenken, dass ich nicht in die schottische Nebelstimmung mich zurückversetzen kann? Ich habe die Symphonie deshalb zu Gunsten einer ‹italienischen› zurücklegen müssen.»


Es sind vor allem die Ecksätze, die den Gedanken an Italien nähren, ohne jedoch Programmmusik sein zu wollen. Der temperamentvolle Grundgestus des eröffnenden «Allegro vivace» mit seinem quirligen Haupt- und Seitenthema wird gerne als «südländisch» wahrgenommen. Und im Presto-Finale, einem wilden «Saltarello», gerät man mitten ins südländische pulsierende Leben, verarbeitet Mendelssohn hier doch neapolitanische Volkstänze. Das aristokratisch-elegante «Menuett» und das melancholisch-singende «Adagio» kontrastieren die beiden temperamentvollen Ecksätze wirkungsvoll.

Text: Sibylle Ehrismann