Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 g-Moll op. 25

Felix Mendelssohn Bartholdy  (1809-1847)


Programmheft für das 2. Abo-Konzert 2019/20

Orchester und Klavier im Dialog

Von April 1829 bis Juni 1832 unternahm Felix Mendelssohn Bartholdy eine ausgedehnte Bildungsreise durch Europa. Sie war der krönende Abschluss einer umfassenden Ausbildung, die ihm seine Eltern zuteil werden liessen. London, Wien, Venedig, Rom und Paris waren Stationen dieser Reise, auf der der junge Musiker nicht nur unzählige Eindrücke sammelte und Kontakte knüpfte, sondern auch als Pianist und Komponist an die Öffentlichkeit trat. Als Pianist beeindruckte er durch sein quirliges Temperament, seine Improvisationsgabe und fulminante Virtuosität. Die Auftritte halfen ihm, sich einen Namen zu machen, das Publikum für sich zu gewinnen und eigene Werke zu Gehör zu bringen. Die Bemerkung der bayrischen Königin, er «risse einen ordentlich mit fort, und man könne bei der Musik ja an nichts anderes denken», dokumentiert die offenkundig überwältigende Wirkung seines Klavierspiels.


Zweimal besuchte Mendelssohn im Rahmen seiner Grand Tour die bayerische Residenzstadt München. Bei seinem zweiten Aufenthalt im Oktober 1831 dirigierte er ein Wohltätigkeitskonzert, dem unter anderem das Königspaar beiwohnte. Auf dem Programm stand neben seiner ersten Sinfonie in c-Moll und der Ouvertüre zum Sommernachtstraum auch seine neueste Komposition, das Klavierkonzert Nr. 1 in g-Moll. Selbstverständlich übernahm Mendelssohn im Konzert den Solopart.


Erste Erwähnung fand das Werk in einem Brief vom 16. November 1830 aus Rom: «Auch ein ClavierConcert, das ich mir für Paris gern schreiben möchte, fängt mir an, im Kopfe zu spuken.» Bis Juli 1831 reifte die Komposition nur in Gedanken: «Ausserdem sollte und möchte ich wenigstens zwey Sinfonien die ich im Kopfe habe, ein ClavierConcert, u.a. schreiben», doch während seines Münchner Aufenthalts brachte Mendelssohn das Konzert binnen weniger Tage zu Papier und instrumentierte es in grosser Eile. Ein deutliches Anzeichen für seine Hast ist das Fehlen des Klavierparts in der handschriftlichen Partitur – Mendelssohn spielte ihn zur ersten Aufführung aus dem Gedächtnis.


Das g-Moll-Klavierkonzert besticht durch seinen kurzweiligen Dialog zwischen Solo und Orchester sowie durch die abwechslungsreiche Kombination der spezifischen Ausdrucksmöglichkeiten beider Klangpartner. In mehreren Punkten setzte sich Mendelssohn über die Hörerwartungen seiner Zeitgenossen hinweg. Es beginnt mit dem Fehlen einer sogenannten doppelten Exposition, bei der eine Wiederholung des Anfangstutti durch den Solisten erfolgt. Im Mendelssohnschen Klavierkonzert ist die traditionelle Orchestereinleitung radikal verkürzt und der Solist erhält einen dramatischen ersten Auftritt nach einer knappen, crescendoartigen Einleitung. In einem schier unaufhaltsamen Fluss stellt nun der Pianist beide Themen des Satzes vor und brilliert mit bravourösen Oktavpassagen, schwungvollen Läufen und rasanten Arpeggien. Ungeachtet der verkürzten Exposition zeichnet sich Mendelssohns Klavierkonzert im weiteren Verlauf dadurch aus, dass Orchester und Solist gleichberechtigt sowohl an der Präsentation als auch an der Verarbeitung der Themen und Motive beteiligt sind. Das Orchester erfüllt weit mehr Aufgaben, als die Soli musikalisch zu grundieren und einzurahmen, wie es häufig in den zeitgenössischen Konzerten zu erleben war. Des Weiteren hat Mendelssohn zwar die übliche Dreisätzigkeit in seinem Klavierkonzert beibehalten,
allerdings durch auskomponierte Übergänge zur Einsätzigkeit geschlossen. Eine Fanfare der Blechbläser verknüpft den stürmischen Kopfsatz mit dem romantischen, von einer Cellokantilene eröffneten Andante und fungiert dann in fast unveränderter Gestalt als Überleitung von diesem sanften, liedartigen Satz zum überschwänglichen Finale in freier Rondoform.


Nicht nur bei der Uraufführung in München, sondern auch in London, wo das Klavierkonzert am 28. Mai und 18. Juni 1832 die nächsten Male erklang, löste es Begeisterungsstürme aus. «Das Werk habe ich vorigen Montag im Philharmonic gespielt, und habe wohl noch niemals in meinem Leben so vielen Erfolg gehabt, die Leute waren wie toll und meinten, es sey mein bestes Stück», berichtete der Komponist. Der Geschwindigkeitsrausch, die zahlreichen überraschenden Wendungen, die rasch gehämmerten Staccatofiguren im Kontrast zu den empfindungsreichen, gesanglichen Passagen dürften damals wie heute den Erfolg des Stückes begründen.

Text: Cornelia Thierbach