Konzert für Klavier und Orchester G-Dur

Maurice Ravel  (1875-1937)


Text von Sibylle Ehrismann – 4. Abo-Konzert Saison 2016/17

Maurice Ravel: Konzert für Klavier und Orchester G-Dur 

VOM JAZZ INSPIRIERT

Auch den Franzosen Maurice Ravel zog es nach Amerika. 1928 unternahm er als Pianist eine viermonatige Tournee durch die USA und Kanada, die ihn durch 25 Städte führte und bei welcher er auch die Musik von George Gershwin kennen lernte.
Gleich nach seiner Rückkehr begann Ravel an seinen beiden Klavierkonzerten zu arbeiten. Ravel hatte bis dahin zwar mehrere gross angelegte impressionis-
tische Klavierstücke komponiert – man denke nur an «Gaspard de la nuit», «Jeux d’eau» oder «Miroirs» – doch kein Klavierkonzert. Nun schrieb er gleich zwei zur gleichen Zeit: das lichte Konzert in G-Dur, und das pathetisch ringende Konzert in D-Dur «für die linke Hand». Mit diesem wollte er dem kriegsverletzten einar- migen Pianisten Paul Wittgenstein die Möglichkeit geben, weiterhin konzertant aufzutreten.

In beiden Klavierkonzerten, so unterschiedlich sie in ihrem Charakter auch sind, hat Ravel den Jazz adaptiert. Er hatte schon immer ein spezielles Flair für rhythmische Effekte, nun wollte er den jazzigen Groove in seine Musik überführen. Dem Geist der Zeit folgend suchte Ravel zudem die «falsche Note», die die damalige Musikproduktion um so vieles Neue bereichert hat. Er fand sie in der «blue note» des Jazz.
Ähnlich wie beim Alphorn-Fa, einem Naturton, der für unsere Ohren leicht schief klingt, ist für den Blues die Naturseptime, die zwischen der grossen
und der kleinen Septime intoniert wird, typisch. Solche schiefen Töne gibt es im Blues aber auch bei der kleinen Terz und der verminderten Quinte. Dadurch unterstreichen «blue notes» in besonderem Mass den Bluescharakter von Melodien.
So bescheiden die Anklänge an bestimmte Jazz-Effekte im G-Dur Klavierkonzert auch sind, sie verleihen dem Stück eine besondere Aura. Man findet sie jedoch hauptsächlich im Orchesterpart, der dem Solopart ebenbürtig
ist. So erinnert bereits die explosive Eröffnung und das energisch treibende Allegramente an Gershwins «Rhapsody in Blue». In seinem Grundcharakter ist das Konzert jedoch hell und leichtfüssig, locker und frech, es ist ein französisches Divertissement.
Das mittlere Adagio, das sehr ruhig und versunken wirkt, fällt aus dem Rahmen. Seine innige Ruhe und die melancho-ische Solo-Kantilene des Klaviers – der langsame Walzer in der linken Hand steht hier in reizvollem Gegentakt zur Melodie
– kontrastieren jedoch ausgesprochen gut mit den quirligen Ecksätzen. So wird der klassisch sonatenförmige erste Satz mit einem Presto-Finale ausbalanciert, ein hart und metallisch klingendes Rondo mit unerbittlich wiederholten Noten.
Eigentlich hatte Ravel den Solopart des G-Dur Konzerts bei der Uraufführung im März 1931 in Amsterdam selber spielen wollen, doch er erkrankte und wurde mit der Arbeit nicht rechtzeitig fertig.
Als dann der 14. Januar 1932 als neuer Pariser Premierentermin näher rückte, musste er feststellen, dass er sein eigenes Konzert technisch nicht mehr zu meistern vermochte. So fragte er die französische Pianistin und Musikpädagogin Marguerite Long, für ihn einzuspringen, und widmete ihr das Klavierkonzert auch gleich. Seine beiden Klavierkonzerte sind übrigens die letzten Klavierwerke, die Ravel komponiert hat.